Hilfe für kleine Störenfriede: Frühprävention statt Psychopharmaka

Über keine Diagnose ist in den vergangenen Jahren weltweit so viel, so heftig und so kontrovers diskutiert worden wie über die Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS) – und das gleichermaßen in der fachlichen wie der allgemeinen Öffentlichkeit. Eine besondere Brisanz erhält diese Diskussion, weil nicht wenige der betroffenen (überwiegend) Jungen nicht nur durch eine ausgeprägte Konzentrationsschwäche und motorische Unruhe, sondern zudem durch ein starkes antisoziales Verhalten auffallen. Sie handeln derart aggressiv, dass sie sich kaum sozial integrieren lassen und somit die Bildungsangebote im Kindergarten und mehr noch in Schulen nicht für ihre Entwicklung nutzen können. ADHS greift unabhängig von der sozialen Herkunft um sich: Den einen verbaut es den sozialen Aufstieg, andere bedroht es mit sozialem Abstieg. Im Gegensatz zu Verhaltenstherapeuten betonen Psychoanalytiker, dass ein Aufmerksamkeitsdefizit und Hyperaktivität als Symptome zu verstehen sind, aber kein einheitliches diagnostisches Bild und schon gar keine Krankheit darstellen. ADHS kann durch ganz verschiedene Ursachen hervorgerufen werden: Dazu gehören unter anderem eine hirnorganische Problematik, traumatische Erlebnisse, das Aufwachsen mit körperlich oder seelisch kranken Eltern, eine emotionale Frühverwahrlosung; in manchen Fällen liegt dem Störungsbild sogar eine Hochbegabung zugrunde. Um die individuellen Hintergründe, die zu einem ADHS führen, genau zu verstehen, genügt oft eine deskriptive Diagnose nicht, wie sie mit Hilfe der gebräuchlichen Diagnosemanuale (ICD-10, DSMIV) gestellt wird. Das genaue Verständnis der spezifischen Ursachen des AD[H]S ist die Voraussetzung, um zu entscheiden, mit welchen pädagogischen, therapeutischen oder medizinischen Angeboten einem spezifischen Kind am ehesten geholfen werden kann. Eine medikamentöse Behandlung ist nur eine von vielen Möglichkeiten, die erst aufgrund einer gründlichen psychologischen und medizinischen Abklärung erfolgen sollte.

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Typ:Übersichtsarbeit
Autor:R. Haubl & M. Leuzinger-Bohleber
Quelle:Forschung Frankfurt 3/2007
Jahr:2007
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